Zwölf Morgenstern-lieder

 

Zwölf Morgenstern-lieder - (2013)   

Christian Morgenstern

for tenor and piano


 Thomas Küchler gewidmet

 

i. An meine Taschenuhr

Du schlimme Uhr, du gehst mir viel zu schnell;
und doch - dich schauend, sah ich selber hell.
Unschuldig Räderwerk, was schalt ich dich?
Ich geh zu langsam, ach zu langsam - ich.

ii. Die Beichte des Wurms

Es lebt in einer Muschel
ein Wurm gar seltner Art;
der hat mir mit Getuschel
sein Herze offenbart.

Sein armes kleines Herze,
hei, wie das flog und schlug!
Ihr denket wohl, ich scherze?
Ach, denket nicht so klug.

Es lebt in einer Muschel
ein Wurm gar seltner Art;
der hat mir mit Getuschel
sein Herze offenbart.

iii. Der Flügelflagel

Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwaruwolz,
die rote Fingur plaustert,
und grausig gutzt der Golz.

iv. Auf dem Fliegenplaneten

Auf dem Fliegenplaneten,
da geht es dem Menschen nicht gut:
Denn was er hier der Fliege,
die Fliege dort ihm tut.

An Bändern voll Honig kleben
Die Menschen dort allesamt,
und andre sind zu Verleben
in süßliches Bier verdammt.

In einem nur scheinen die Fliegen
Dem Menschen vorauszustehn:
Man bäckt uns nicht in Semmeln,
noch trinkt man uns aus Versehn.

v. Möwenlied

Die Möwen sehen alle aus,
als ob sie Emma hießen.
Sie tragen einen weißen Flaus
und sind mit Schrot zu schießen.
Ich schieße keine Möwe tot,
Ich laß sie lieber leben --
und füttre sie mit Roggenbrot
und rötlichen Zibeben.

O Mensch, du wirst nie nebenbei
der Möwe Flug erreichen.
Wofern du Emma heißest, sei
zufrieden, ihr zu gleichen.

vi. Der Purzelbaum

Ein Purzelbaum trat vor mich hin
und sagte: "Du nur siehst mich
und weißt, was für ein Baum ich bin:
Ich schieße nicht, man schießt mich.

Und trag' ich Frucht? Ich glaube kaum;
auch bin ich nicht verwurzelt.
Ich bin nur noch ein Purzeltraum,
sobald ich hingepurzelt."

"Jenun", so sprach ich, "bester Schatz,
du bist doch klug und siehst uns; -
nun, auch für uns besteht der Satz:
wir schießen nicht, es schießt uns.

Auch Wurzeln treibt man nicht so bald,
und Früchte nun erst recht nicht.
Geh heim in deinen Purzelwald,
und lästre dein Geschlecht nicht."

vii. Geiß und Schleiche

Die Schleiche singt ihr Nachtgebet,
die Waldgeiß staunend vor ihr steht.

Die Waldgeiß schüttelt ihren Bart,
wie ein Magister hochgelahrt.

Sie weiß nicht, was die Schleiche singt,
sie hört nur, daß es lieblich klingt.

Die Schleiche fällt in Schlaf alsbald.
Die Geiß geht sinnend durch den Wald.

viii. Die Probe

Zu einem seltsamen Versuch
erstand ich mir ein Nadelbuch.

Und zu dem Buch ein altes zwar,
doch äußerst kühnes Dromedar.

Ein Reicher auch daneben stand,
zween Säcke Gold in jeder Hand.

Der Reiche ging alsdann herfür
und klopfte an die Himmelstür.

Drauf Petrus sprach: "Geschrieben steht,
daß ein Kamel weil eher geht

durchs Nadelöhr, als Du, du Heid,
durch diese Türe groß und breit!"

Ich, glaubend fest an Gottes Wort,
ermunterte das Tier sofort,

ihm zeigend hinterm Nadelöhr
ein Zuckerhörnchen als Douceur.

Und in derTat! Das Vieh ging durch,
obzwar sich quetschend wie ein Lurch!

Der Reiche aber sah ganz stier
und sagte nichts als: Wehe mir!

ix. Der Aesthet

Wenn ich sitze, will ich nicht
sitzen, wie mein Sitz-Fleisch möchte,
sondern wie mein Sitz-Geist sich,
säße er, den Stuhl sich flöchte.
Der jedoch bedarf nicht viel,
schätzt am Stuhl allein den Stil,
überlässt den Zweck des Möbels
ohne Grimm der Gier des Pöbels.

x. Denkmalswunsch

Setze mir ein Denkmal, eher,
ganz aus Zucker, tief im Meer.

Ein Süßwassersee, zwar kurz,
werd ich dann nach meinem Sturz;

doch so lang, dass Fische, hundert,
nehmen einen Schluck verwundert.

Diese isst in Hamburg und
Bremen dann des Menschen Mund.

Wiederum in eure Kreise
komm ich so auf gute Weise,

während, werd ich Stein und Erz
nur ein Vogel seinen Sterz

oder gar ein Mensch von Wert
seinen Witz auf mich entleert.

xi. Wiegenlied

Schlaf, Kindlein, schlaf,
am Himmel steht ein Schaf;
das Schaf das ist aus Wasserdampf
und kämpft wie wir den Lebenskampf.

Schlaf, Kindlein, schlaf.
Schlaf, Kindlein, schlaf,
die Sonne frißt das Schaf,
sie leckt es weg vom blauen Grund
mit langer Zunge wie ein Hund.

Schlaf, Kindlein, schlaf.
Schlaf, Kindlein, schlaf.
Nun ist es fort, das Schaf.
Es kommt der Mond und schilt sein Weib;
die läuft ihm weg, das Schaf im Leib.
Schlaf, Kindlein, schlaf.

xii. Der Tanz

Ein Vierviertelschwein und eine Auftakteule
trafen sich im Schatten einer Säule,
die im Geiste ihres Schöpfers stand.
Und zum Spiel der Fiedelbogenpflanze
reichten sich die zwei zum Tanze
Fuß und Hand.

Und auf seinen dreien rosa Beinen
hüpfte das Vierviertelschwein graziös,
und die Auftakteul' auf ihrem einen
wiegte rhythmisch ihr Gekrös.
Und der Schatten fiel,
und der Pflanze Spiel
klang verwirrend melodiös.

Doch des Schöpfers Hirn war nicht von Eisen,
und die Säule schwand, wie sie gekommen war;
und so mußte denn auch unser Paar
wieder in sein Nichts zurücke reisen.
Einen letzten Strich
tat der Geigerich -
und dann war nichts weiter zu beweisen.

   29 pages, circa 24' 15"


Christian Morgenstern

 

For other setting of Morgenstern's texts, please click here. For translations of many of these texts, two sites are invaluable: Digitalen-Christian-Morgenstern-Archiv and  Emily Ezust's The Lied, Art Song, and Choral Texts Archive.

 

Thomas Küchler is the orchestra manager of the Staatskapelle at the Staatsoper Berlin. Many times backstage he has been courteous, personable and charming, all the while thoroughly professional. Of the Staatskapelle, one reads:  "With a tradition reaching back to 1570, the Staatskapelle Berlin is one of the oldest orchestras in the world. Initially it performed exclusively for the Court. However, when Frederick the Great founded the Royal Court Opera in 1742 – today’s State Opera – and merged the Opera and Orchestra, the sphere of activity of the Staatskapelle was broadened and the success story began. The exceptional, dark and warm sound of the Staatskapelle, much praised by experts today, has grown from a long tradition. Over time famous conductors have contributed to the orchestra’s characteristic sound and musical interpretation. The Staatskapelle Berlin is an essential part of the State Opera: it undertakes the majority of the opera and ballet performances. In a series of concerts each season the Orchestra performs major symphonic works of the Classic, Romantic and Modern periods, commissioned works, and a broad variety of chamber music. Daniel Barenboim was appointed general music director of the Staatskapelle in 1992."

 

The score for Zwölf Morgenstern-lieder is available as a free PDF download, though any major commercial performance or recording of the work is prohibited without prior arrangement with the composer. Click on the graphic below for this piano-vocal score.

 

Zwölf Morgenstern-lieder